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Warum Rheumabetroffene auf ihre Füße achten sollten

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Fußspuren

Prof. Dr. Stefan Rehart und Dr. Manfred Kemmerling erklären im Interview, wie die Entzündung bei Menschen mit Rheuma die Füße zerstören kann.

Viele Rheumabetroffene behandeln ihre Füße stiefmütterlich. Die beiden rheumatologischen Orthopäden Prof. Dr. Stefan Rehart und Dr. Manfred Kemmerling erklären im Interview mit Julia Bidder, Chefredakteurin der Mitgliederzeitschrift "mobil", wie die Entzündung Füße zerstört und welche Methoden helfen.

Was ist der häufigste Fehler, den Rheumabetroffene bei ihren Füßen machen?

Prof. Rehart: Viele Menschen behandeln ihre Füße stiefmütterlich. Füße sollte man pflegen – wer das selbst nicht mehr kann, sollte zur Fußpflege gehen. Am liebsten wäre es mir, wenn Betroffene bei Beschwerden früher zu mir kämen – so früh, dass man noch konservativ therapieren kann. Manchmal kann man die Basistherapie anpassen, manchmal muss man ein sogenanntes rebellisches Gelenk direkt adressieren. Idealerweise gehen Betroffene zu einem erfahrenen, möglichst rheumatologisch geschulten Orthopäden.

Dr. Kemmerling: Manche Menschen gehen geradezu abenteuerliche Wege, um mit ihren deformierten Füßen alleine klarzukommen – sie schneiden sogar Löcher in Schuhe, die ihnen nicht mehr passen. Andere greifen zu besonders weichen Schuhen mit weichen Sohlen, etwa Sneaker oder Turnschuhe. Zunächst lindern diese bequemen Schuhe zwar die Beschwerden. Aber diese stützen die Fußwölbungen nicht. Die Füße flachen weiter ab, die Fehlstellungen verstärken sich.

Besser ist es, frühzeitig zum Arzt zu gehen, am besten zum orthopädischen Rheumatologen. Der sieht die Belastung und kann zunächst mit Einlagen oder Schuhzurichtungen dagegen angehen.

Wie oft sehen Sie im Zeitalter der Biologika noch Rheumabetroffene mit starken Fußproblemen?

Dr. Kemmerling: Grundsätzlich sind die ganz dramatischen Veränderungen zurückgegangen in den vergangenen 20 Jahren, seit es die Biologika gibt. Trotz der sehr guten Therapie sehen wir aber immer noch vereinzelt rebellische, das heißt stark entzündete und geschwollene Gelenke, die auch am Fuß Probleme machen. Häufig gilt das für die seropositive Variante der rheumatoiden Arthritis (RA).

Prof. Rehart: Ich habe immer noch sehr viele Patientinnen und Patienten mit Fußproblemen, sicherlich Hunderte im Jahr. Teilweise sind es extreme Veränderungen, die über einen langen Zeitraum allmählich entstehen. Es ist ansonsten auch nicht das Privileg nur des alten Menschen, einen rheumatischen Vorfuß zu haben, das bekommen auch junge!

Was sind typische Veränderungen an Fuß durch entzündliches Rheuma?

Dr. Kemmerling: Eine typische Veränderung ist die sogenannte Valgus-Stellung des Rückfußes. Dabei knickt der Fuß nach innen weg. Kommt es zusätzlich zu einer Abflachung der Fußlängswölbung, also einem Flach- oder Plattfuß, sprechen wir von einem „Pes planovalgus“. Neben der entzündlichen Rheumaerkrankung können angeborene Fehlstellungen im Mittel- und Vorfuß dazu führen, dass die innere Fußwölbung im Lauf des Lebens abflacht und einbricht. Das merkt man am Anfang gar nicht, weil der Prozess über Jahre hinweg erfolgt. Aber irgendwann schmerzen Mittel- oder Vorfuß, und die Zehen verändern sich – allen voran die Großzehe, die sich nach außen fehlstellt. Außerdem sind Druckschmerzen an verschiedenen Stellen häufig.

Prof. Rehart: Es ist wichtig, zu wissen, dass nicht nur die Entzündungen in den Gelenken und die zerstörten Knorpeloberflächen zu Problemen führen, sondern auch die aufgelockerten Bänder, die maßgeblich für die Stabilität im Fuß verantwortlich sind. Neben dem Hallux valgus gibt es auch Veränderungen an der Kleinzehe – dieser dreht sich nach innen weg. Zehen können sich dadurch über- oder unterkreuzen.

Doch nicht nur die Zehen verändern sich, auch die Mittelfußknochen: Der erste Mittelfußknochen schiebt sich nach innen, der fünfte Mittelfußknochen nach außen. Wir nennen diese Position „Metatarsus primus varus“ und „Metatarsus quintus valgus“. Dadurch kommt es zu Zehenveränderungen, die man sieht. Das alles zusammen ergibt den zerstörten, verbreiterten rheumatischen Vorfuß.

Die in der Mitte liegenden Mittelfußknochen 2, 3 und 4 bleiben an Ort und Stelle, werden aber in Relation zu den beiden äußeren Mittelfußknochen zu lang. Das führt dazu, dass das gesamte Körpergewicht auf den drei mittleren Mittelfußköpfchen lastet. Als Folge davon tritt sich das Fettpolster der Fußsohle durch, schließlich läuft man fast direkt auf den Knochen.

Es entstehen sehr schmerzhafte Schwielen, unter Umständen auch Fisteln und Entzündungen. Das ist richtig unangenehm und schränkt die Mobilität stark ein. Daher meine Empfehlung: Rechtzeitig reagieren und kompetenten Rat suchen! 

Was sind erste Alarmsignale?

Dr. Kemmerling: Ein erstes Warnzeichen kann Hornhaut sein, Schwielenbildung an Stellen, wo sie vorher nicht üblich war, und die sich nach der Entfernung schnell neu bildet. In diesem Stadium kann man noch gut reagieren und durch sogenannte Pelotten die Fußwölbungen anheben. Wo häufig Schwielen auftreten, kann man eine Weichbettung vornehmen.

Prof. Rehart: Schmerzen haben eine wichtige Alarmfunktion, Schwellung und Rötung deuten auf eine Entzündung hin. Die Grundgelenke des vierten und fünften Zehs sind die  sogenannte „Wetterecke“ der Füße – dort finden sich oft schon Veränderungen, bevor die Diagnose „entzündliches Rheuma“ feststeht. Auch bei zunehmenden Verformungen, Schmerzen und Druckstellen sollte man zum rheumatologischen Orthopäden gehen.

Übrigens umfasst der oft benutzte Krankheitsaktivitätswert „DAS 28“ die Füße nicht. Das kann dazu führen, dass Betroffene, die gut eingestellt sind, trotz Basistherapie und niedrigem Krankheitsaktivitätswert an den Füßen Entzündungen haben, die nicht erkannt und somit auch nicht behandelt werden. Es ist absolut wichtig, dass Patientinnen und Patienten Schuhe und Strümpfe bei ärztlichen Vorstellungen ausziehen, damit man frühzeitig auf etwaige Veränderungen reagieren kann.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

Dr. Kemmerling: Zum einen kann man die medikamentöse Basistherapie anpassen. Dann sollte man drei Monate abwarten, ob sich die Beschwerden bessern. Bestehen sie fort, kann eine eventuell entzündete Gelenkinnenhaut operativ entfernt werden. Nach einigen Wochen bildet sich die Synovialis neu – und man verödet sie mithilfe einer sogenannten Radiosynoviorthese.

Prof. Rehart: Mit systemischer Kortisongabe sollte man vorsichtig sein und eher generalisierte Schübe damit behandeln. Die potenziellen Nebenwirkungen für den Knochen insgesamt können nämlich schlimm sein. Entzündungen einzelner Gelenke können von lokalen Verfahren profitieren. Wir infiltrieren zum Beispiel am Fuß mit Kortison bei „rebellischen“ Gelenken, wenn es gar nicht anders geht.

Welche Rolle spielt das Schuhwerk?

Prof. Rehart: Man sollte bequeme, ordentliche Schuhe tragen, aber eine Frau darf auch mal hochhackige Schuhe anziehen. Die Grundlage für die Vorfußdeformitäten ist die entzündliche Aktivität des Rheumas und die erbliche Veranlagung, nicht nur das Schuhwerk! Wir müssen auch die Menschen insgesamt sehen, nicht nur Fehlstellungen am Fuß oder eine Grunderkrankung.

Worauf soll ich bei der Einlagenversorgung achten?

Prof. Rehart: Ein orthopädischer Schuhmacher sollte nach einer Ganganalyse einen Abdruck herstellen und dann eine bettende oder korrigierende Einlage anfertigen. Ich empfehle langsohlige Einlagen aus Kork oder Leder, weil sie atmungsaktiv sind. Für Sportschuhe gibt es übrigens dünnere Einlagen.

Dr. Kemmerling: Einlagen müssen regelmäßig erneuert werden, etwa alle sechs bis zwölf Monate. Die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen zwei Paar pro Jahr.

Gibt es sonstige konservative Maßnahmen?

Dr. Kemmerling: Es gibt zum Beispiel für den Hallux valgus spezielle Schienen, die man aber nur barfuß oder nachts tragen kann. Außerdem sind Zehenplatzhalter erhältlich, etwa im Sanitätshaus, die man in den Zehenzwischenraum einschieben kann, damit die Haut nicht aneinanderreibt. Grundsätzlich darf man sich davon aber nicht allzu viel versprechen, sie lindern die schmerzhaften Druckstellen, beheben aber nicht die Ursache der Fehlstellungen an den Zehen.

Bei Krallenzehen helfen zu Beginn Einlagen mit sogenannten retrokapitalen Pelotten, die hinter dem Mittelfußköpfchen sitzen. Mit ihnen hebt man das Fußgelenk an und bringt die Krallenzehe in eine halbwegs vernünftige Position.

Wie sieht die chirurgische Behandlung aus?

Dr. Kemmerling: In meiner Assistentenzeit haben wir viele Rheumabetroffene operativ an den Füßen versorgen müssen. Meist waren wir resezierend tätig, haben also Teile des Gelenks am Vorfuß entfernt, etwa Mittelfußköpfchen, und die entzündete Gelenkhaut entfernt. Patientinnen und Patienten hatten dann keinen Druck mehr unter der Fußsohle vom  Mittelfußknochen, mussten aber anschließend mit Einlagen versorgt werden, um die verbleibenden Mittelfußknochen zu stützen.

Diese OP-Methoden sind immer noch der Standard bei Rheumafüßen im Endstadium der Deformitäten. Sind bei jüngeren Betroffenen nur einzelne Gelenke befallen, können wir meist gelenkerhaltend arbeiten, zum Beispiel mit einer sogenannten Umstellungsosteotomie, bei der Knochen gezielt verlegt werden.

Wie steht es um das Thema künstliche Gelenke am Fuß?

Prof. Rehart: Bei den Prothesen am Vorfuß, am Großzehengrundgelenk, handelt es sich um vergleichsweise ältere Modelle, die sich bewährt haben. So gibt es Silastic-Prothesen nach Swanson, um ein zerstörtes Gelenk zu ersetzen. Diese Prothesen halten zehn bis 15 Jahre, der Großzeh bleibt beweglich. Grundsätzlich empfehle ich dort, auf bewährte Prothesenmodelle zu setzen, denn neue Modelle müssen sich zunächst bewähren.

Dr. Kemmerling: Für das obere Sprunggelenk gibt es schon seit über 30 Jahren künstlichen Gelenkersatz, der als ausgereift gilt. Alternativ kann man das Gelenk versteifen. Für ein künstliches Gelenk muss man die Knochendichte überprüfen, sie darf nicht zu schwach sein.

Darüber hinaus muss man beachten, dass ein künstliches Sprunggelenk meist nur zehn bis 15 Jahre hält, während die Standzeiten von Knie- und Hüftgelenken 20 Jahre und mehr betragen können. Denn die Gelenkfläche des Sprunggelenks ist viel kleiner als bei Hüfte oder Knie, weshalb es durch das Körpergewicht zu einer viel größeren Punktbelastung kommt. Lockerungen sind daher häufiger als bei anderen Gelenken.

Wechsel-OPs sind schwierig, weil sich der Knochen häufig unter dem Implantat zurückgebildet hat. Wenn man nach Lockerung und Ausbau einer Prothese das Gelenk versteifen möchte, fehlt die Knochensubstanz dort, wo zuvor die Prothese saß. Meist ist es trotzdem machbar, indem man mit sogenannten Marknägeln durch die Fußsohle, das Fersenbein mit dem Sprunggelenk und dem Unterschenkelknochen versteift.

Sind Versteifungsoperationen auch an anderen Stellen im Fuß noch üblich?

Prof. Rehart: Am Vorfuß gilt das vor allem für die Kleinzehen selbst, dann kann man den Fuß sonst weiterhin gut bewegen. Auch ein zerstörtes Großzehenendgelenk kann alternativ zu Prothesen versteift werden. Die Indikationsstellung ist immer individuell mit dem Patienten nach Bedarf und gegebener Situation zu klären!

Dr. Kemmerling: Für das Großzehengrundgelenk gibt es zwar seit über 60 Jahren Prothesen, die haben sich aber nicht grundsätzlich durchgesetzt. Das Problem ist, dass sehr große Scherkräfte auf das Gelenk wirken, da sich der Zeh bei jedem Schritt nach oben und unten bewegt und auf ein sehr kleines Gelenk häufig mehr als das Gesamtkörpergewicht lastet. Eine Prothese dort hält daher nur einen begrenzten Zeitraum, das muss man berücksichtigen. 

Die Interviewpartner: Prof. Stefan Rehart ist Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie an den Agaplesion Frankfurter Diakonie Kliniken.

Dr. Manfreud Kemmerling ist Chefarzt der Klinik für Orthopädie, Traumatologie und Rheumatologie am Helios Klinikum Attendorn. 

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